Der Tagesspiegel - 29. Juni 2012 von Erika Harzer
Vom Kottbusser Tor nach Charkiw – junge Berlinerinnen von Türkiyemspor vertreten Deutschland bei einem Begegnungsturnier in der Ukraine. Und wundern sich.
Begegnungen finden täglich statt. Ohne großen Aufwand, beliebig und meist unbedeutend. Bei Begegnungsreisen ist dies anders, da wird Begegnung gezielt gesucht, mit fremdem Leben, fremden Menschen und Gebräuchen.
So auch bei der „fEMale 2012“, ein Fußball- und Begegnungsturnier in der Ukraine. Fußball und Frauenbilder, zwei Brücken bauende Elemente, sollen Frauen aus der Ukraine, Russland, Polen und Deutschland einander näherbringen. Dazu treffen sie sich.
Sie sind jung, zwischen 15 und 22 Jahren, sind neugierig, spielen Fußball. Die Location ist ein von außen unwirtlich kalt wirkendes, farbloses Hotel. Neun Etagen, die meisten davon noch Baustellen.
Das Hotel liegt in Charkiw, der zweitgrößten ukrainischen Stadt, im Osten des Landes, nicht weit von der russischen Grenze. Sie kommen aus Woronesch in Russland, aus verschiedenen Orten der Umgebung von Gliwice in Polen oder aus Berlin-Kreuzberg. Vier Länder, vier Teams. Ein Fußballturnier steht im Mittelpunkt, aber was sie als Frauenbild in ihren Köpfen und Koffern mitschleppen, darüber wollen sie sich austauschen.
Die Berlinerinnen fremdeln. Sie, die Frauen von Türkiyemspor, sind in sich selbst ein bunter Haufen mit Eltern aus der Türkei, aus Kroatien, dem Iran, aus Maghrebländern und Deutschland. Begegnungsreisen sind ihnen nicht fremd. „Mit den Polinnen ist es einfach“, erzählt die 19-jährige Mandana. „Die sprechen englisch und einige auch deutsch und suchen auch von sich aus den Kontakt zu uns.“ Doch anders seien die Ukrainerinnen und die Russinnen, die seien ziemlich verschlossen und distanziert. Mandana sucht nach dem eigenen Bild, überlegt, wie sie selbst denn auf die anderen wirken könnten. „Sicherlich offen, aber dennoch auch verschlossen. Das ist auch in Berlin so, wenn jemand neu zu uns kommt, weil wir sind in den letzten zwei Jahren zu einem richtigen Team geworden, verstehen uns auch alle eigentlich ziemlich gut und deswegen wirken wir vielleicht offen als Menschen, aber als Gruppe doch sehr verschlossen.“
Allein durch ihr Outfit, ihren Dresscode und ihr Make-up heben sich Mandana und die anderen von den Frauen der übrigen Länder ab, sicher auch durch ihr Gehabe und ihr Diskutierenwollen, ihre inpiduelle Unpünktlichkeit. Von strenger Disziplin getragen, bewegen sich die Russinnen in der Gruppe, versammeln sich pünktlich in der Hotellobby, gehen geschlossen als Team los, egal ob zum Essen oder zum wartenden Bus. Geschlossen sind sie regelmäßig die Ersten und warten regelmäßig bei gemeinsamen Aktivitäten auf die zu spät kommenden Deutschen.
Stereotype festigen sich oder brechen auf.
Die 19-jährige Daria aus dem polnischen Team erzählt davon, wie sie in Polen deutsche Frauen sehen. „Die gelten bei uns als hässlich“, sagt sie lächelnd und fügt gleich hinzu, sie seien aber durch das hier anwesende deutsche Team eines Besseren belehrt worden. Dass viele der Türkiyemspor-Frauen ihre Wurzeln außerhalb Deutschlands haben, in der Türkei zum Beispiel, dem Iran oder Kroatien, ist Daria völlig egal. Die Spielerinnen von Türkiyemspor verkörpern für sie das Deutschland, das sie gut findet.
Zeynap, Yasemin, Seda und all die anderen Türkiyemspor-Frauen lächeln über Darias „deutsches“ Frauenbild.
Ihr Team, meint Mandana sei eine ziemlich weibliche Mannschaft, in der die meisten „von uns sehr auf ihr Äußerliches achten. Andere bestimmt auch, aber auf eine andere Art und Weise. Der Großteil von uns läuft gerne im Kleid herum und bei den anderen laufen die meisten in Sportklamotten rum.“ Im Stadtbild, bei Ausflügen, da begegnen ihnen völlig andere Frauen. „Unglaublich“, Mandana wirkt fassungslos, „das ist wirklich extrem. Die laufen teilweise im BH und Unterhose rum und wenn du so in Berlin rumlaufen würdest, ich glaube, da würden dir alle hinterhergucken, aber die Männer, die gucken denen nicht mal hinterher, die interessieren sich nicht. Das ist ganz normal. Oder auch die völlig übermalten Lippen, damit sie voller wirken.“ Offensichtlich hat Mandana nicht mit solchen Frauen in Charkiws öffentlichem Leben gerechnet. Die Bilder beschäftigen sie.
Am nächsten Tag steht Fußball auf dem Programm. Der Turnierplatz ist ein reichlich heruntergekommener Kunstrasenplatz neben einer großen Sportanlage. In den Umkleidekabinen fehlen Deckenböden, die Plastikstühle im Trainerbereich sind zersessen, durchlöchert. Aber es gibt eine kleine Zuschauertribüne. Leider läuft das Turnier sportlich für die Berlinerinnen überhaupt nicht. Mit 1:6 verlieren sie gegen die kleinfelderfahrenen und deutlich motivierter spielenden Ukrainerinnen. Nachdem die anfängliche Schockstarre von den Spielerinnen abfällt, beginnen die Annäherungen, mit Broken English, mit Händen und Füßen, mit den anwesenden Sprachmittlern. Fußball schafft Brücken, öffnet Türen, schafft Verständigung. Das war der Ansatz der Initiatoren der „fEMale 2012“. Über den Fußball Frauen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, in diesem Fall aus Ost und West, sich begegnen zu lassen.
„Sie haben das Turnier verloren, das ist schade. Aber ihr Koffer ist voll mit neuen Erfahrungen. Allein dafür lohnt sich der Aufwand, mit ihnen zehn Tage unterwegs zu sein.“ Murat Dogan trainiert die Türkiyemsporfrauen und er leitet die Mädchen- und Frauenabteilung. Dass der Sportplatz Begegnungsort von Mädchen und Frauen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen ist, gehört bei ihnen zum Alltagsgeschäft. Vor gut sieben Jahren bauten Dogan und ein paar Mitstreiter die Mädchen- und Frauenabteilung des Kreuzberger Vereins auf, der 1978 von türkischen Einwanderern gegründet und 2007 mit dem erstmals vergebenen DFB-Integrationspreis ausgezeichnet wurde. Wenn der 35-jährige Dogan, mittlerweile Vereinspräsident, es nicht schafft, Förderer zu aquirieren, sieht es schlecht aus um die Zukunft des Klubs. Und damit wäre auch die Begegnungs- und Integrationsarbeit dieses Vereins, die inmitten der Hauptstadt ein multikulturelles Deutschland repräsentiert, in Gefahr.
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