Frauenmorde in Guatemala
Frauenmorde in Guatemala

DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28./29.4.2007 von Erika Harzer

Die Dimension der Femizide in Guatemala: Ähnlichkeiten zu den Serienmorden von Ciudad Juárez?

Um die mexikanische Grenzstadt Ciudad Juárez zeugen Kreuze von den vielen Frauenmorden, in Guatemala gibt es noch viel mehr Opfer solcher Verbrechen. Die Bedrohten versuchen aufzuklären – vorsichtig, denn tödliche Gewalt gegen Frauen ist weiterhin für die Täter kaum gefährlich.

Jennifer Lopez spielt im Film "Bordertown" eine couragierte Frau, die sich im mexikanischen Ciudad Juárez auf die Suche nach den Tätern der unsäglichen, unaufgeklärten Frauenmorde macht. Mehr als 400 Frauenleichen sind in dieser Grenzstadt zwischen Erster und Dritter Welt in den vergangenen 10 Jahren gefunden worden, 700 Frauen gelten als vermisst. Gut 2500 Kilometer südlich von Ciudad Juárez, in Guatemala-Stadt, der Hauptstadt des gleichnamigen Landes, sind es unbekannte Frauen, die recherchieren und agieren.

Die 19-jährige Hilda Judith Barillas Macario öffnet die Eingangstür zur "Fundación Sobrevivientes", der "Stiftung Überlebender" erst, nachdem ihr von Videokamera und privaten Sicherheitskräften "grünes Licht" signalisiert wird. Das Büro liegt im Zentrum, in jenem Teil der Stadt, den Touristinnen und Touristen besser meiden sollten. Die Kontrollen sind überlebenswichtig, vor allem für Hilda, die in dieser Organisation als "Mädchen für alles" einspringt. Sie betreut Kinder, wenn die Mütter therapeutischen oder rechtlichen Rat suchen, macht Telefondienst oder empfängt die vorwiegend weiblichen Besucher.

Kleiner Teilerfolg

Hilda ist selbst einer der vielen Fälle, die seit dem Jahr 2000 in unermüdlicher Kleinarbeit von den Frauen der Stiftung unter Leitung der zierlichen Norma Cruz erfasst und verfolgt werden. Und ihr Fall ist einer der wenigen mit einem kleinen Teilerfolg: Der mutmaßliche Täter des Mordversuchs an ihr ist gefasst.

Dieses eigentlich normale Ereignis veranlasst die Stiftung, auf ihrer Internetseite ein Foto des Mannes zu veröffentlichen, die Freude darüber mit allen zu teilen - und Mut zu machen; Mut, der gebraucht wird, um in diesem Land die Dimension der Abwertung weiblichen Lebens und der tödlichen Gewalt gegen Frauen, die Dimension der Femizide zu benennen und gegen Täter vorzugehen. Geschätzte 3000 Frauen sind zwischen 2002 und 2006 in Guatemala umgebracht worden, allein 580 im Jahr 2006. Ähnlichkeiten zu den Serienmorden von Ciudad Juárez?

"Wir suchen hier keine 3000 Mörder", sagt Norma Cruz und erläutert weiter: "Auch hier gibt es Anzeichen von Serienmorden. Und der vorhandene straffreie Raum für Gewalt gegen Frauen als Ausdruck der patriarchalischen Kultur schafft Situationen, in denen Männer eine Frau umbringen, dann noch eine Frau umbringen und wenn sie dann feststellen, dass ihnen nichts passiert, warum sollten sie es dann lassen?" Die Leiterin der Stiftung weiß, wie mühsam es ist, diese gesellschaftliche Struktur zu durchbrechen. Sie benennt vier verschiedene Gruppierungen, die tödliche Gewalt gegen Frauen ausüben:

Eine davon sind die "Maras", die bewaffnet agierenden Jugendbanden, denen viele der ritualisierten Morde zuzuordnen sind. Als zweite große Tätergruppe nennt sie den organisierten Drogenhandel, denn immer öfter werden bei internen Abrechnungen Ehefrauen und Töchter der Drogenhändler umgebracht.

Säuberungsgruppen

Dazu kommt die tödliche Gewalt gegen Frauen, ausgeführt von so genannten "grupos de limpieza social", sozialen Säuberungsgruppen, in denen auch Mitglieder der Sicherheitskräfte agieren.

Letztlich sind es auch Ehemänner, Freunde, Verlobte, Väter, Onkel oder irgendwelche Männer, die ihre Frauen, Töchter, Freundinnen oder einfach ihnen gerade über den Weg laufende Mädchen und Frauen für deren "Ungehorsam" bestrafen wollen. "In einem Land, in dem du alles ungestraft mit deiner Frau machen darfst, ist der Weg zum Töten geradezu vorgezeichnet", sagt Norma.

Bisher gefasste Täter sind entweder Bandenmitglieder oder Ehemänner, Verlobte und so weiter. Frauenmorde, die eher den Drogenhändlern oder den Säuberungsgruppen zuzuschreiben sind, bleiben unaufgeklärt. Ob aus Angst vor der Macht dieser Gruppierungen oder weil einige der in den staatlichen Instanzen Agierenden selbst involviert sind - die Antwort darauf vermag Norma nicht zu geben.

Aber auch sie und ihre Stiftung ziehen deutliche Grenzen, es gibt etliche Fälle, wo sie sich raushalten, "um nicht alles aufs Spiel zu setzen." Normas Stimme wird deutlich leiser bei diesen Gedanken: "Du kannst in Guatemala nicht die Gegenwart losgelöst von der Vergangenheit betrachten. Hier hat die Aufstandsbekämpfung nie aufgehört. Sie äußert sich nur anders. Diese damals zum Töten geschaffene Einheit ist weiterhin existent."

Sie spricht von den mehr als drei Jahrzehnten eines grausamen Bürgerkriegs, in dem zwischen 1960 und 1996 zur Bekämpfung der Aufständischen 440 Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden. Mehr als 200.000 Menschen wurden getötet. "Auswirkungen davon spüren wir noch heute massiv in unserem Alltag."

Aktuell arbeitet die Stiftung an 364 Fällen und hat immerhin im vergangenen Jahr zur Verhaftung von 40 mutmaßlichen Mördern beigetragen; auch zu jener des Täters im Fall Hilda.

Hilda war zwölf Jahre alt, als sie sich in ihrem Dorf mit ihrer kleinen Schwester auf den Weg machte, für die Mutter Brennholz zu suchen. Die Mutter lebte vom Tortillaverkauf, und da mussten alle mitanpacken. Unterwegs trafen sie auf einen Mann aus dem Dorf, der sie bald darauf verfolgte und mit einem Stock auf sie einzuprügeln begann. Panisch wehrte sich Hilda und versuchte, die Schwester zu schützen; die konnte auch tatsächlich fliehen.

Wütend zog der Mann daraufhin die Machete und verletzte Hilda mehrmals mit tiefen Schnittwunden in den Bauch. Dann schleppte er sie durch einen Bach und warf sie in ein Loch. Wie durch ein Wunder überlebte Hilda, die Schwester hatte Hilfe geholt.

Wie Hilda erzählt, hatte sie in Vernehmungen der Ermittlungsbehörden "immer das Gefühl, ich bin schuld an dem, was passiert ist. Nachbarn haben schlecht über mich geredet. Freundinnen kamen nicht mehr zu mir. Ihre Eltern sagten, ich würde sie zu schlechten Sachen verleiten."

Verstümmelte Leichen

Hilda hat lange gebraucht, um das Erfahrene einigermaßen aufzuarbeiten. Die Arbeit in der Stiftung hilft ihr sichtlich. Sie erfährt von vielen Frauen, die nicht das "Glück" hatten, zu überleben; Frauen, deren Leichen verstümmelt, weggeworfen oder verbrannt wurden.

"Natürlich bin ich froh, dass der Täter verhaftet wurde"; über Hildas Gesicht huscht ein Lächeln bei diesen Worten. Aber nur kurz. Der ängstliche Blick nimmt sie wieder ein, wenn sie daran denkt, dass sie nun drei Anhörungen haben wird, in denen "mir Leute gegenübersitzen, die sowieso nur denken, dass die Frauen, die umgebracht werden, selbst schuld sind. Für die sind es immer Prostituierte oder Bandenmitglieder, die so eine Tat herausfordern."

Aber sie wird es machen, wird auch vor dem Täter aussagen, für sich selbst und für die anderen Frauen. "Nur so werden wir die Mauer der Straffreiheit durchbrechen."

Erika Harzer ist Autorin und Filmemacherin aus Berlin, die sich vorwiegend mit der sozialen Situation in Zentralamerika befasst.